Spiritualität im Qigong und im Tai Chi Chuan (Taijiquan)

Bekanntlich gibt es höchst unterschiedliche "Wege zum Sein": Im Ursprungsland China bestehen zahlreiche spirituell-energetische Strömungen, die sich gegenseitig durchdringen. Zu ihrem kulturellen Hintergrund zählen neben der Yin-Yang-Philosophie auch Buddhismus, Konfuzianismus und Taoismus. Im Kern geht es bei diesen Methoden um die Erforschung dessen, das auch vielen Westlern wichtig ist: Was bedeutet mein Leben, welchen Sinn hat alles und wie erschließe ich mir diese Ressourcen?

Oder mit östlicher Ausdrucksweise: Wie lebt man in Harmonie und Gleichgewicht mit dem "kosmischen Gesetz", also einer Art natürlicher Ordnung. "Tai Chi Chuan" heißt übersetzt "Kampfkunst, um das Höchste Prinzip zu erfahren". "Qigong" bedeutet "Arbeit mit der Qi-Lebenskraft" für mehr Stärke und Resilienz. Die Idee dahinter: Spiritualität erleben im eigenen Tun im Hier und Jetzt.

Dies wiederum eröffnet eine Fülle von Möglichkeiten. Dieses Terrain zu erkunden ist der Weg jedes Einzelnen - wobei man unversehens auf die Schwierigkeit stößt, diese Erfahrungen in Worte zu fassen und anderen mitzuteilen. Viele erleben sich während des Übens völlig neu und wie in einer anderen Welt - besonders beim Üben in einer Gruppe. Sie berichten von mehr Harmonie in ihrem Handeln und von mehr Ausgeglichenheit und Zufriedenheit.

Spiritualität als innere Erforschung

Traditionell gesehen ist die östliche Vorstellung des "DAO (Weg)" immer auch Forschung, nämlich stetig voranschreitende Erforschung der eigenen Person im Sinne vertiefter Selbstreflektion. Damit einher geht das Ausloten der eigenen Fähigkeiten. Zu dieser "östlichen Erfahrungswissenschaft" kommt im Westen die wissenschaftliche Forschung hinzu. Beide in Einklang zu bringen ist ein grundsätzliches Dilemma.

Der große Wissenschaftsphilosoph Karl Popper formulierte als Erklärungsmodell: "Die Wissenschaft ist das Netz, das wir auswerfen, um die Wahrheit zu erkennen - und wir arbeiten daran, die Maschen immer enger zu machen". Doch ebensorichtig ist die Feststellung von Daisetzu Suzuki: "...und solange es Maschen sind, wird immer etwas hindurchgehen"! In diesem Spannungsfeld zeigen sich dem ernsthaft Übenden immer neue spirituelle Horizonte.

Spiritualität im Unterricht des DTB-Dachverbandes

Auch der DTB-Dachverband fördert und verbreitet vielfältige Aspekte solcher Spiritualität und ermutigt zu spirituellen Übungswegen jenseits von westlichem Gottesglauben. Bei deser Kultivierung grenzt er sich jedoch klar ab von traditioneller chinesischer Esoterik und intransparentem Okkultismus. In der historischen Entwicklung des Qigong und Taijiquan haben sich zahlreiche  sekten-artige, quasi-religiöser Anschauungen und Dogmen entwickelt, die der DTB als ungeeignet für westliche Erwachsenenbildung einstuft.

Der energetischen chinesischen Gedankenwelt stellt der Verband sein wissenschaftliches Konzept als Korrektiv gegenüber (s. beispielsweise das Faszien-Qigong). Das DTB-Modulhandbuch für das Qigong-Tai-Chi-Curriculum enthält Hintergrundwissen zum spirituellen Entwicklungsweg der künftigen Lehrenden ohne Einengung oder Gängelung. Schließlich geht es individuelle Innere Potenziale, um Innere Kraft und Resilienz. Lernziele sind Life-Skills mit Alltagstransfer in den beruflichen und privaten Alltag.

Spirituelle Dimensionen im Qigong

Das Spirituelle des Qigong zeigt sich wohl am deutlichsten in Übungen zur Entwicklung Innerer Kraft des "Chinesischen Yoga"; dazu zählt das Shaolin-Qigong mit der Technik des Knochenmark-Waschen oder dem Eisenhemd-Qigong. Diese meditativen Praktiken werden zurückgeführt auf den indischen Mönch Bodhidharma, der im Shaolin-Kloster in der chinesischen Provinz Henan den Chan-Buddhismus entwickelte. Dieser auch als "Zen" weltweit verbreitete Buddhismus lehrt, dass Erleuchtung zu jedem Zeitpunkt geschehen kann. Dieses "Erwachen" wird gelehrt durch spirituelle Lehrer.

Ähnliche spirituelle Komponenten finden sich in zahlreichen Qigong-Stilen. Sie wenden oft Heillaute an und kombinieren diese mit überlieferten Bewegungen und spezieller Atmung.

Spirituelle Dimensionen im Tai Chi Chuan der Yang-Familie

Dr. Langhoff: Das Spirituelle des Qigong und Tai Chi Chuan (Taijiquan) erklärt Altmeister Yang Chengfu an Hand der Zehn Prinzipien und der "Tai-Chi-Klassiker"Zum Lebenswerk von Altmeister Yang Chengfu zählt nicht nur die Verbreitung der von ihm entwickelten vereinfachten Tai-Chi-Form sondern auch die Betonung von Aspekten, die man als "energetisch-spirituell" bezeichnen kann - es geht im Kern um "Innere Kraft" und Zugang zu "höherem Sein". Der DTB mahnt jedoch: Man sollte bei der Betrachtung immer die östlicher Kunst und Kultur berücksichtigen. Info-Graphik: Das Spirituelle des Qigong und Tai Chi Chuan (Taijiquan) erklärt Altmeister Yang Chengfu an Hand der Zehn Prinzipien, der "Tai-Chi-Klassiker" und der daoistischen Weltanschauung gemäß der Yin-Yang-Philosophie.

 

Ein Verdienst des "Großen Standardisierers ist es, Tai Chi und Qigong aus der Perspektive der Traditionellen Chinesischen Medizin TCM, der Meditation und der Kampfkunst zu nutzen. Diese integrale Sehweise hebt die Gemeinsamkeiten hervor. Stets geht es um "Yangsheng", die Stärkung der Qi-Energie. Der DTB benutzt diesen vorwissenschaftlichen Esoterik-Terminus allerdings nicht.

Die spirituellen Grundlagen erklärt Meister Yang durch Zitate aus den "Klassischen Schriften". Seine Kommentare beziehen sich dabei in der Regel auf die Einheit von Körper, Geist und Seele und die "Zehn Prinzipien", die in der Yang-Familie und der Wu-Familie überliefert wurden. Die früher geheimen Anleitungen geben Hilfen bei der Entwicklung der spirituellen Dimensionen. Im Mittelpunkt aller Betrachtungen steht die "Qi-Lebenskraft" oder die "Atem-Energie".

Sein Sohn Yang Zhenduo betonte, daß diese Prinzipien keine "disembodies qualitäties" seien. Dies ist auch dem DTB-Dachverband wichtig: Spirituelle Erfahrungen sollten nicht entkoppelt sein vom Körperlichen. Schon das "Erste Prinzip - den Kopf aufrichten" bezieht sich auf den Fluss der Lebensenergie. Ähnlich ist es beim "Siebten Prinzip - Das Innen  führt das Außen", welches die Körper-Geist-Einheit behandelt. Einbezogen sind SUNG-Entspannung und Atem-Disziplin.

Eine wichtige Kehrseite ist die "Politische Korrektheit", die man in einigen Organisationen des Yang-Familien-Taijiquan findet. Eine Abgrenzung von Spiritualität und Esoterik findet nicht statt. Enfordern von Loyalität und Verleihung neuer chinesischer Namen gehören zu diesem Umfeld. Der DTB hält etliches aus diesem Bereich für unvereinbar mit seiner Arbeitsgrundlage, die auf Ideologie-Freiheit und Faktencheck basiert.

Spirituelles Tai Chi / Spirituelles Qigong

Fernöstliche Übungen sollte man korrekt erlernen und praktizieren. Eine grundlegende uralte Forderung hat bis heute nichts von ihrer Wichtigkeit eingebüßt: Der Mensch soll sich öffnen für "Das Wesentliche" oder "Das Eigentliche". Für diese Ursprünglichkeit seines Seins soll sich lösen von seinem Ego und sich einpassen in eine umfassende Ordnung des TAO. Er kann so spontaner und wahrhaftiger werden  - und die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind.

All dies geht weit hinaus über das Alltagsleben und den "gesunden Menschenverstand". Diesen auch bei Heilslehren zu nutzen ist dennoch essentiell. Der DTB-Dachverband registiert seit geraumer Zeit eine Zunahme von "quasi-religiösen" Gruppierungen, die mit Kommerz und Esoterik-Mantras die Sehnsucht vieler Menschen nach mehr Spiritualität ausnutzen. Hier fordert der DTB Aufklärung und Demystifizierung. Dies ist hilfreich in einer Zeit, in der Mystik und Guru-Kult zunehmend gefragt sind.

Angesichts dieser Entwicklung sollte jeder sich klar werden über seine persönlichen Motivationen und eventuell passende Angebote genau unter die Lupe nehmen. Folklore, Magie, übermenschliche Fähigkeiten und ähnliches "kindgemäßes Wunschdenken" bewirken ja keine Stärkung und Unabhängigkeit - ganz im Gegenteil bilden sie Hindernisse beim Ausschöpfen der individuellen Potenziale jedes Praktizierenden.

Spirituelle Dimensionen der Künste

 Tai Chi und Qigong sind chinesische Übesysteme mit grundlegendem Bezug zu Spirituellem. Dieses vielschichtige Terrain zu erforschen ist besonders für Laien sehr herausfordernd. Als übergreifender Begriff empfiehlt sich hier Meditation. Im Kern geht es um Disziplin, Achtsamkeit und den Wunsch, "ein besserer Mensch zu werden". Unterm Strich handelt es sich damit um "Innere Kampfkunst".

Etliches läßt sich zurückführen auf Einflüsse des indischen Yoga, den Chan-Buddhismus (Zen) und die Shaolin-Kampfkunst (s. Ausbildung Chinesisches Yoga). Davon zeugen auch schriftliche Überlieferungen wie die "Taiji-Klassiker". Diese Taiji-Einheit bestehend aus Yin und Yang bildet die höchste spirituelle Sphäre des menschlichen Seins und der kosmologischen Ordnung.

Für viele Praktizierende geht es um die Stärkung der "Qi-Energie". Viele machen beim Üben häufig spirituelle Erfahrungen - und sind von der Tiefe überrascht. Dies ist allerdings kein Wunder, denn die Künste weisen sozusagen eine "spirituelle DNA" auf: Es ist die geforderte integrale Einheit von Körper, Geist und Seele. Darauf haben schon die alten TAO-Meister unermüdlich und kategorisch hingewiesen.

 

UPDATE / AKTUELLES: Spiritualität und "Stilles Qigong"

Vom Konzept der Ewigen Wandlung über die DAO-Lebensphilosophie bis hin zum Kosmischen Gesetz des Universum. Der DTB-Arbeitskreis "Qigong-Spiritualität" bietet ein umfangreiches Spektrum an ausgewählten Thematiken. Das letzte Treffen tellte die "Intuition" in den Mittelpunkt. Das nächste Treffen diskutiert dieses Statement:

Qigong und Spiritualität

Mit der der Stabilisierung der Gesundheit, der Entwicklung von Ausgeglichenheit und innerer Kraft sowie dem Aufbau der fünf Tugenden (Menschlichkeit, Höflichkeit, Vertrauen, Gerechtigkeit und Weisheit) geht bei jenen Menschen, die intensiv Qigong praktizieren, oft auch eine Erweiterung der spirituellen Dimension einher. Am Anfang steht dabei in der Regel die sogenannte „Schulung des Geistes“.

Das Überwinden von Anhaftungen, das Loslassen von Begierden und negativen Eigenschaften sind wichtige Stationen auf diesem Weg. Spezielle Meditationen zum Beispiel über die Liebe der Mutter, den Aufbau von Mitgefühl oder die Umwandlung von Wut helfen, den Geist zu reinigen und in die Tiefe der eigenen Seele vorzudringen. Die ausgeprägt meditativen Aspekte insbesondere der Qigong-Übungen in Stille führen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit religionsübergreifenden, essentiellen Fragen des Lebens. Sie eröffnen zudem besondere Fähigkeiten, zu denen unter anderem eine ausgepägte Intuition gehört.

Quelle: https://neijin-qigong.com/qigong/qigong-und-spiritualitaet.


Literatur

https://taichi-qigong-richtig-lernen-dr-langhoff.de/spiritualitaet.html